Montag, 28. Dezember 2009

Schwermut am Schreibtisch

Typische Arge-Atmosphäre im neuen Jahrtausend. Früher war das ja anders, hab ich gehört. Da hieß das noch Arbeitslosengeld. Und der Peter war noch keine Persönlichkeit, die selbst Erna von gegenüber kennt. Da nannte man so was noch Amtsstube. Und wahrscheinlich hatte man beim Besuch nicht das Gefühl 90% der Bevölkerung wäre arbeitslos.

Jedenfalls, ich heute da. Strom nicht bezahlt. Kurz vor Licht aus. Also, Mama Amt anbetteln. Och, bidde bidde! Is doch jetzt erst Weihnachten gewesen und ich war das Jahr über auch ganz artig....bestimmt! Die Dame hinter dem Tresen beäugt mich misstrauisch. Bestimmt denkt sie jetzt an ihre Kinder, die das auch immer im Dezember sagen wenn sie sich eine Brustvergrößerung, einen Jahresvorrat an Zigaretten oder das nächste Tattoo wünschen. Und sie weiß dann immer ganz genau, dass das ja nicht stimmt, weil die Polizei dieses Jahr schon mindestens vier Mal da war.
Ob sie jetzt denkt, dass ich vorbestraft bin, weiß ich nicht. Ich erwähne aber vorsichtshalber, dass ich es nicht bin. Dass ich mir noch nie etwas zu Schulden hab kommen lassen, außer das eine Mal als Grundschüler, als ich vor lauter die falschen Klamotten tragen nur die dazu passenden Freunde fand. Die mich dann dazu überredeten, doch was Süßes zu klauen, sonst gäbe es Saures. Solche Freunde waren das. Stimmte zwar nicht (also, dass mit dem sonst noch nie sich was zu Schulden kommen lassen), aber die Frau blickte jetzt trotzdem irgendwie mitleidig. So, mit jeden zweiten Satz mit So beginnen. "So, dann müssen sie das noch ausfüllen", "So, dann wollen wir mal gucken was wir für Sie tun können!".

Nachdem alles ausgefüllt, kopiert und abgestempelt war, folgte die leider programmatische Stille, während der Computer meine Bitte verdaut. Ich bin dann immer sehr zurückhaltend. Vielleicht versteht Sie meinen Humor nicht und dann interpretiert Sie was falsch, fühlt sich auf den Schlips getreten, den nicht vorhandenen. Und entschließt sich nicht freundlich zu sein, abzulehnen, mir die Unterlagen unbearbeitet zurückzugeben als wäre sie dafür nicht zuständig. Als wäre ich in Afrika und will Anzeige stellen gegen den regionalen Warlord. So lass ich mich kleinmachen, nicht von Ihr, von dem Gebäude. Der Atmosphäre, schwankend zwischen verzweifelten Familienvätern, kraftlosen Junkies und Männern, die eigentlich zur Polizei wollten, aber nicht durften. Zu unsportlich, zu ungesund, zu lebenslauflöchrig, zu vorbestraft. Und all das ergibt ein Gebräu, das nicht gut schmeckt, aber hilft. Sozial-Medizin. Sieben Tropfen täglich in die Biographie und du wirst abgestempelt. Auf dem Papier, manchmal im Bekanntenkreis und mit Pech sogar auf der Straße.

Die Innereien des Computers haben ihre Arbeit verrichtet und er scheidet das von mir benötigte Dokument aus. Stille überstanden, ohne Blessuren durch den kampflosen Kampf. Ein weiteres Rädchen im Getriebe, dem bestätigt wird, dass es sich verklemmt hat.
Ich bekomme ein Papier ausgehändigt, dass eigentlich nicht mehr bescheinigt, als dass meine Bitte bearbeitet wird. Dass ich da war. Dass muss ich bescheinigt haben, damit man mir das glaubt. Was für wundervolle Texte die Distanz zwischen den Menschen doch produziert. Bürokratische Poesie. Ein Gedicht für den Mann am anderen Ende der Leitung, am einsamen Schreibtisch irgendwo da draußen.

1 Kommentar:

  1. Herrlich gelacht über deine wahren Worte, die einen Alltag beschreiben, der Real einen zu oft am liebesten das Lachen vermiesen wollen würde oder es sogar zum Zeitpunkt des Geschehens vermiest. Ich liebe deinen grotesken Umgang für die Verschiedenheit der Perspektiven auf das Leben!

    Ich will mehr! :D

    Lg, Daniela

    AntwortenLöschen