Montag, 28. Dezember 2009

Rückspultasten-Sehnsucht

"Warum?", dass ist das einzige was ihm im Moment dazu einfällt. "Naja, was soll ich sagen. Ich kann dir das auch nicht so genau erklären. Ich mag dich schon, aber irgendwas fehlt. Sei mir nicht böse deswegen, ich kann nicht ändern was ich fühle. Ich glaube, das liegt auch allein an mir.Wahrscheinlich bin ich einfach zu kaputt!" versucht sie das ganze zu mildern. "Ach Quatsch, du musst dich deswegen jetzt auch nicht schlecht machen. Hast schon Recht, man hat auf seine Gefühle einfach keinen Einfluss. Ich weiß auch nicht. Nur weil es sich jetzt komisch anfühlt, ist es wahrscheinlich noch lange nicht falsch. So ist das eben, immer anders!" sagt er noch, im Willen zu beschwichtigen. Aber er merkt bereits wie sich die Worte einfach auflösen wie Zuckerwatte. Das hier hat keine Konsistenz, es muss ertragen werden, wird aber auch irgendwann vorbei sein. "Ja, das stimmt. Was soll ich auch großartig sagen. Ich...." bricht sie ab, das Gefühl bestätigend. Sie wissen nicht was sie hier machen und doch sind sie sich ganz bewusst, dass das hier gerade das Ende ist, zumindest eines. Sie schauen in das Grün des Parks vor ihren Füßen und sehen dort nur die Leere, die sie auch in ihren Augen gefunden haben. Das, was sie längst verloren glaubten. Wenn sie sich doch mal direkt anschauen, erschrecken sie sich vor dem Fremden der plötzlich vor ihnen sitzt.

"Bist du dir sicher? Ich meine, vielleicht ist das auch nur eine Phase, momentan. Du magst mich doch, sagst du. Lass uns doch einfach gucken wie sich alles weiter entwickelt. Oder hab ich irgendwas falsch gemacht? Sei ruhig ehrlich, so kommen wir doch nicht weiter, irgendwas muss doch..." versucht er zu argumentieren und spürt seine Hoffnungslosigkeit zu Ignoranz mutieren, während sie ihm jedoch gleich in die völlig nutzlose Argumentation fährt: " Streng dich nicht an, ich sage doch es liegt eher an mir. Irgendwie ist das auch nicht wirklich zu erklären, weiß auch nicht. Ich glaub, das ist eines dieser Gefühle, das die Liebe so mysteriös und unerklärlich werden lässt. Was wollen wir das totdiskutieren, das macht alles nur noch hässlicher, ich will dich so wie bisher in Erinnerung behalten!"
Er schaut sie verständnisvoll an und nickt: "Ja, du hast Recht. Das macht auch nichts besser." Wieder blicken beide in den leeren Raum vor sich in der Hoffnung, er würde zumindest symbolische Hilfestellung leisten. Aber wahrscheinlich hatten zig-Tausend andere Paare die selbe Illusion auf dieser viel zu grünen Wiese für so einen Moment. Sie bräuchten eine hoffnungslos, ehrliche Wüste. Oder eine dieser typisch-amerikanischen Müllhalden, pendelnd zwischen Zerstörung und Post-Romantik. Aber dieser Park, ist nicht das, was sie sich erhofft hatten. Viel zu viele Paare, die entweder den selben Fehler begangen haben oder noch nicht so weit sind.
All das süßlich-schöne, die warme Luft, das Kindergeschrei, der Geruch von fertigem Essen aus mütterlicher Küche, der viel zu blaue Himmel, erscheint nun unerträglich, wirkt fast wie Gift. Sie möchten so nicht weitermachen. Einfach schön bunt anmalen, mit Zucker vollstopfen in der Hoffnung den bitteren Geschmack der Erkenntnis nicht zu schmecken. Das wollen sie nicht, beide. Dann lieber Unglück. Lieber weinen, und nicht rausgehen wollen, sich zuhause einschließen, den ganzen Tag wahlweise traurige Romanzen oder bestätigende Splatter-Filme schauen, sich vollfressen. Zu viel trinken, wehmütig werden und Freunde nerven. Ehrlichkeit und Vernunft bereuen, schreien, Sachen kaputt machen, schlecht schlafen und gute Launen zerstören. Aber auch irgendwann wieder aufstehen, wieder laufen lernen und schneller werden. Wieder lachen, wie beim ersten Mal. Und erkennen, das auch Scheiße schön sein kann. All das hätten sie jetzt nur zu gerne, aber das hier nicht. Nicht diesen Ort, nicht diese Menschen. Nicht sich selbst und nicht ihr Gegenüber.
Noch einmal, sich tief innig, verlangend, wütend küssen, als wäre es das erste Mal. Sich dann nicht mehr angucken, sich nur noch wegwerfen. Nutzloser Schrott, der schon viel zu lange im Keller liegt. Müllabfuhr rufen oder gleich umziehen.

Aber so geht es nicht. Sie gucken sich an und sie küssen sich auch nicht. Sie können nicht, was sie wollen.
"Ich glaube, hier ist der Punkt. Lass uns das lieber jetzt machen, als alles noch schlimmer. Da ist doch auch nichts mehr, mir fällt zumindest nichts mehr ein. Komm, ich will jetzt eigentlich alleine sein." setzt sie den längst überfälligen Schluss fest. In Realität gemeißelt. Die ganze Zeit gespürt und trotzdem noch übermalt. Aber die Farben scheinen durch. Es ist soweit.
"Ja, ich weiß. Es gibt nichts mehr und es wird nichts mehr kommen. Aber mach das hier nicht steinern. Schon klar, wir brauchen das jetzt. Aber ich glaube, nicht ewig. Lass uns gucken, dann neu sortieren. Das ist zu wichtig!" stimmt er zu und lehnt gleichzeitig ab. Er war selten soweit wie sie und jetzt wird es besonders deutlich. Frauen und Männer, Paradebeispiel 1A.
"Mach das nicht, du weißt es geht nicht. Ich hab die gleichen Wünsche wie du, aber ich führe nicht das selbe Leben. Sieh zu, dass du dein eigenes Buch schreibst, das brauchst du. Und jetzt komm her!" macht sie ihm nochmal klar, bevor sie ihn in den Arm nimmt, ein letztes Mal, so dass es besonders schmerzt. Brust und Arme in Rasierklingen-Klammern, keine Gnade. Der Schmerz frisst sich bis in´s Herz, beide. Dann lässt sie ihn los und schaut zu Boden, soweit ist sie. Er nicht, das merkt er und schluckt noch einmal, erschreckend bestätigt.
Sie blickt erst auf, als er den Park fast verlassen hat, den Weg aus Kies beschreitend, der ihn Ihr endgültig nimmt. Er blickt bereits nicht mehr zurück. Sie wusste dass das kommt und hatte deshalb bewusst länger das Gras unter ihren Füßen angestarrt.Dort, an den Büschen, die hinausgeleiten ist der letzte Moment, das Bild das ihr bleibt. Dann ist er weg und sie fühlt, dass er jetzt wirklich weg ist. Eine Träne traut sich hinaus und überquert ihre Wange, um zum Kinn zu gelangen von wo aus sie ins Gras springt. Sie lässt es zu, spürt diese angenehme Trauer, weil ehrlich, weil echt, weil notwendig.

Er verlässt den Park und fühlt sich ausgewrungen. Leer und zerquetscht. Wieder einmal merkt er, dass das männliche Geschlecht doch wesentlich emotionaler ist, als es seine Leidensgenossen je zugeben konnten. So wirklich hat er gar kein Gefühl. Eigentlich ist alles was er fühlt nur ein Wunsch danach. Er weiß einfach nicht. Sein Gehirn ist doppelt so verknotet, wie sowieso schon. Sein Herz spürt die Ketten, die es wieder angelegt bekommen hat, in sich hineinschneiden. Verwirrt und zurückgelassen entscheidet er sich, sich abzuschotten und steckt sich die Kopfhörer in die Ohren. Er macht den Player an und dreht voll auf. Betäubung, zu mehr ist er jetzt nicht in der Lage. Er würde jetzt gerne ausflippen, rumspringen, Sachen kaputttreten, durch die Gegend schmeißen, sich einfach prügeln. Aber er überlässt die physisch ausgeübte Gewalt denen, die ihm jetzt in´s Ohr schreien. Während er spürt wie der Kopf sich langsam, abgelenkt von den Gedanken anderer, abschaltet, tritt er auf die Straße. Er bemerkt nichts, so wie er nichts mehr spürt.
Erst als sie ihm schon fast auf die Schulter tippt, dreht er, irritiert durch das Surren rechts, seinen Kopf zur Seite und sieht nur noch das feiste Grinsen der elektronischen Moderne, in Form der Bahn, ihn verabschieden. Im selben Moment in dem er seine Sorgen vergisst, beginnen die Leute um das Ereignis zu schreien und vereinzelt zu kotzen. Ein paar rennen verwirrt weg und eine ältere Dame fällt, unfähig mit dem überaschenden Einbruch der kühlen Realität klarzukommen, einfach um. Niemand dort geht seinen Weg weiter, er hat sie berührt und verändert.

Sie wird aus ihrer abwesenden Melancholie gerissen durch das plötzliche Rufen und Kreischen, das von der Straße kommt, beschließt zuerst jedoch sich nicht darum zu kümmern. Erst nachdem sie nicht wieder zurückfindet, beschließt sie es ihm gleichzutun, diesen jetzt erstmal zu belastenden Ort zu verlassen. Als sie an der Straße ankommt sieht sie es und somit ihn. Sie dreht sich um und blickt nochmal wieder hin, unfähig es zu realisieren und unterschwellig hoffend, nur zu fantasieren. Die Spuren wirken wie aus Neonfarbe, brennen sich in ihr Gedächtnis. Der Körper erscheint plötzlich fremd. Die Glieder strecken sich hinfort, wie Zeiger einer Uhr. Eine Uhr, die nur eines anzeigt, das Ende.Dann blickt sie ihm in´s Gesicht, erkennt was ihr die ganze letzte Zeit gefehlt hat und ist überzeugt, ihr wurde etwas gestohlen. Sie fragt sich noch, wohin er gegangen wäre, wäre er nicht sofort gegangen. Dann gehen die Lichter aus.

1 Kommentar:

  1. Mein Lieber....voller Interesse und Neugierde gelesen und zum Schluß...Fassungslosogkeit:was hast denn Du für ein Ende gewählt! Sauberer Abgang, Leser gefesselt - so sollte es sein! Und der Inhalt klingt als hättest Du alle Lebensweisheit schon erfahren - wie soll ich Dir je noch etwas vermitteln? LG S. Ludewig - van de WAll

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